(C) Ramses, A. von Steinberg, mgverlag & Druck

Stand: 29.10.2010

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Goon

SF-Endzeit

Bodo Kroll

Ein Tag, der so losgeht, ist nicht mehr zu retten.” Sind Sie schon einmal aufgewacht und fanden Ihre Welt völlig verändert vor? Robert Jatho steht vor diesem Problem, nur dass seine Sorgen sich nicht auf einen defekten Wasserhahn beschränken. Er sieht sich mit seiner Tochter Anja in eine lebensfeindliche Welt geworfen, denn eine unbekannte Macht hat scheinbar  über Nacht die gesamte Erde mit Metallplatten überzogen. Ganz andere Probleme hat der Raumsoldat Rainer Bagstenner. Er ist auf der Suche nach einem neuen Lebensinhalt und begegnet dabei der rätselhaften Anda Neffow. Diese beiden lösen unbeabsichtigt intergalaktische Verwicklungen aus und verändern so das Machtgefüge des Universums.

Nominiert im Jahr 2006

Science-Fiction-Romane haben ihr Publikum und man sollte glauben, dass sich die Fans dieses Genres als kleine verschworene Gemeinde in einer Nische im Literaturbetrieb eingenistet haben. Nichts von alledem! Bodo  Kroll gewinnt mit seinen phantastischen Ausflügen in die Zukunft, die er in atemberaubender Art mit dem Jetzt und Heute verbindet, immer neuer  Leser dazu, die beweisen, dass seine Romane in keiner Nische gehören. Auch sein fünfter Roman besticht durch ausgefallene Ideen und genfremde  Lösungen und wird mit Sicherheit, wie auch seine vorhergehenden Bücher, auf den Nominierungslisten diverser Science-Fiction-Preise finden.

Roman  Niethammer

 Paperback, 280 Seiten,  ISBN 3-931164-34-9, € 12,80

 Leseauszug zum Roman “GOON”

Ein Tag, der so losgeht, ist nicht mehr zu retten, dachte Bernd missmutig und übermüdet. Warum muss so etwas immer am Montagmorgen passieren? Abgesehen davon, dass das Wasser drucklos aus  dem Wasserhahn seines Badezimmers tropfte, hatte es zudem eine bräunlich-gelbe Farbe. Der Gedanke, sich mit dieser trüben Brühe waschen zu müssen, trieb ihm eine Gänsehaut über den Rücken.

Wütend hieb er auf den Hebel des Einhandmischers seines  cremefarbenen Waschbeckens. Es gibt Tage, da sollte man lieber im Bett bleiben, kam es ihm in den Sinn. In diesem Moment musste er an seinen zwölfjährigen Sohn Eric denken, der gestern mit seiner Schulklasse zu  einer Campingtour aufgebrochen war. Er hatte auf der Luftmatratze mit Sicherheit noch schlechter geschlafen als sein Vater. Trotz allen  Mitgefühls für seinen ältesten Sohn besserte sich seine Laune bei diesem  Gedanken.

»Papa, komm mal, Papa, Papa!« Die Stimme seiner Tochter Anja bekam einen fordernden Ton. Mit einem tiefen Seufzer wandte sich Bernd vom Waschtisch ab und bewegte sich sichtlich angestrengt in das Wohnzimmer.  Sein kleiner Wonneproppen hatte die bis zum Boden reichenden, wallenden  Vorhänge vor der zweiflügligen Terrassentür zurückgezogen und deutete aufgeregt nach draußen. Das Kläffen ihres Hundes war bis in das Wohnzimmer zu hören. Müde schlurfte er über den warmen Laminatboden. Die  Fußbodenheizung hatte bereits ganze Arbeit geleistet.

»Was hat dein Wadenbeißer denn nun wieder?«, fragte Bernd  rhetorisch. Der Yorkshire, der gerade einmal eine Handspanne hoch war, bellte wahrscheinlich wie so oft einer Katze hinterher und weigerte sich, zurück ins Haus zu kommen.

Müde blickte er durch die Doppelverglasung hinaus in den Garten  und stutzte. Irgend etwas war anders. Genau hinter ihrem Grundstück stand  ein anderes Haus! Eigentlich konnte das nicht sein, da dort der Erlenbach,  ein kleines Flüsschen, verlief. Bernd kniff die Augen zusammen und griff an sein unrasiertes Kinn. Das Haus da hinten kam ihm seltsam vertraut vor.  Ein rotverklinkertes Einfamilienhaus mit Krüppelwalmdach und einer großen Terrasse. Hinter einer Terrassentür konnte er die Umrisse zweier ungleicher Gestalten erkennen.

Es ist unser Haus! Ungläubig starrte er auf das Gebäude, als sich diese Erkenntnis in seinem Kopf breitmachte. Er sah ein  Spiegelbild seines eigenen Hauses. Der Schluß vertrieb die letzte  Müdigkeit aus seinem Gehirn. Wer zum Teufel stellt über Nacht einen  haushohen Spiegel in diesen Garten? Das Fernsehen? Irgendwelche Spaßvögel, die gleich sein dummes Gesicht aufzeichnen wollen?

Bernd konnte sich nicht vorstellen, wer einen solchen Aufwand für  einen Schabernack treiben würde. Sein technisch geschulter Verstand  überschlug in Gedanken die Kosten, die die Produktion eines solchen Spiegels sowie dessen Transport verschlingen würden. Obwohl er als Elektroingenieur nicht gerade ein Fachmann für derartige Dinge war, kam er  mühelos auf einen fünfstelligen Betrag.

Fast automatisch fasste er nach dem messingfarbenen Griff der  Terrassentür, öffnete sie und lief über den kurzgeschorenen Rasen. Bereits nach etwa zwölf Metern war Schluss. Eine spiegelnde Fläche erhob sich soweit sein Auge reichte. Jetzt sah er auch den Yorkshire. Terry sprang ununterbrochen an seinem eigenen Spiegelbild hoch und bellte sich dabei permanent an. Erst jetzt wurde dem Ingenieur bewusst, wie dunkel es noch war. Normalerweise hätte zu dieser Jahreszeit die aufgehende Sommersonne  seine Terrasse in Morgenlicht gebadet. Statt dessen gab es nur ein  diffuses Dämmerlicht wie vor einem schweren Unwetter.

Bernd berührte vorsichtig den Spiegel. Er fühlte sich kühl an. Mit Bedacht drückte er seine Finger gegen die Fläche. Nichts geschah. Das Objekt war hart wie Glas. Irgendwie hatte der Ingenieur das Gefühl, neben  sich zu stehen. Er befand sich in seinem Garten und trotzdem kam er sich hier völlig fremd vor.

»Papa, was ist los?«, hörte er eine Stimme von der Terrassentür.

Bernd drehte sich überrascht um. Terrys Gekläffe hatte seinen  10-jährigen Sohn Kevin aus dem Bett geholt. Mit verschlafenen Augen lehnte  er sich an den Terrassentürrahmen und schaute zu seinem Vater. Die  gigantische Spiegelwand schien er noch gar nicht registriert zu  haben.

»Lauf‘ schnell rein und weck‘ Mama auf, es ist wichtig!«, forderte er Kevin auf.

Sich schlaftrunken die Augen reibend machte der Junge auf den  Fersen kehrt und verschwand im Haus.

Bernd schaute wieder auf den Spiegel. »Das Ding muss doch irgendwo einen Rand haben«, überlegte er laut. Das unglaubliche Objekt in seinem Garten faszinierte ihn. Ohne die Hand von der Fläche zu nehmen, wandte er  sich nach links. Seine Fingerspitzen glitten über das seltsame Material,  doch er spürte nicht die kleinste Unebenheit. Irgendwo musste es zumindest Bruchstellen oder feine Fugen geben, dessen war sich er sicher.

Ein  kniehoher Jägerzaun, der sein Grundstück begrenzte, stoppte seinen Gang.  Der Ingenieur hockte sich hin und betrachtete die Kreuzlattung. Es sah aus, als ob der Spiegel regelrecht quer durch seinen Garten gegossen worden wäre, wobei die Streben des Zauns einfach im Glas verschwanden.  Bernds Finger glitten über das Holz, das an den Eintauchstellen weder gesplittert noch verzogen war, als wäre das Material einfach in eine Wasserfläche getaucht worden, die anschließend fest wurde.

»Das ist ja total verrückt!«, ratlos kam er wieder auf die Beine.  »Ich bin gespannt, als was für ein irres Teil sich dieser Spiegel herausstellen wird!«, kam es ihm über die Lippen.

Als  hätte der Spiegel auf dieses Stichwort gewartet, änderte sich genau in  diesem Moment seine Reflexion. Von einem Punkt in Augenhöhe lief die  Veränderung wellenförmig über die Fläche. Irritiert trat Bernd einen Schritt zurück.

Der  Spiegel verblasste, um dem Licht der aufgehenden Morgensonne Platz zu machen. Terry nutzte die Gelegenheit und rannte aus dem Garten. Bernd  hörte, wie sich das Gekläffe sekundenschnell von ihm entfernte. Erst jetzt  bemerkte er, dass seine Tochter Anja immer noch hinter ihm stand. Als sie  sah, dass ihr geliebter Hund davonpreschte, war auch sie nicht mehr zu  halten.

Bernds Hand fasste haltsuchend an den Jägerzaun. Er spürte, wie  ihm die Knie weich wurden. Hinter dem Spiegel war nicht mehr der kleine Bach zu sehen. Vor ihm öffnete sich eine flache Landschaft aus einem  chromfarbenen Metall, das sich bis zum Horizont erstreckte. Die Fläche  begann just dort, wo eben noch der Spiegel stand.

Seine Tochter ließ ihm keine Zeit, sich noch genauer mit der seltsamen Metallfläche zu beschäftigen. Das Trippeln ihrer  plastikbesohlten Hausschuhe klang hohl auf den Metall, als sie hinter Terry herflitzte. Die fremdartige Umgebung schien sie nicht im Geringsten zu beeindrucken. Ihr Augenmerk galt nur dem davonlaufenden Hund.

»Anja, komm sofort zurück!«, gellte sein Schrei. Bernd hatte keine Ahnung, was hier passierte, doch es war mit Sicherheit nicht gut, dass  seine Tochter über dieses Metall lief.

Der  Ingenieur war hin- und hergerissen. Er roch förmlich die Gefahr, die von  diesem über Nacht verlegten Metall ausging. Doch es gab keine andere  Möglichkeit das Mädchen wieder einzufangen, als ihm  nachzulaufen.

Kurz entschlossen hetzte er seiner fünfjährigen Tochter nach.  Seine Schritte dröhnten auf dem silberglänzenden Boden, doch der federte nicht einen Millimeter nach. Es war, als ob er über harten Beton lief. Anja hatte in den wenigen Sekunden einen bemerkenswerten Vorsprung  erlaufen. Bernd brauchte vierzig oder fünfzig Schritte, bis er sein  schreiendes Töchterchen an der Hüfte packen konnte.

Außer Atem blieb er stehen und hob sie auf dem Arm. »Bist du von allen guten Geistern verlassen, hier einfach aus unseren Garten zu laufen?«, keuchte er sie an.

»Aber Terry rennt weg!«, widersprach sein Töchterchen und  unterstrich ihre Argumentation mit einem charmanten Aufschlag ihrer blauen  Augen. Bernd konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Seine kleine Maus beherrschte alle Tricks, mit denen sie ihren Papa besänftigen konnte.

»Terry, komm nach Hause!«, schrie er über die Metallfläche hinweg. Bernd wusste, dass der Hund auf seine Stimme hören würde. Der Yorkshire  war intelligent, einen Streit mit dem Familienoberhaupt würde er nicht in Kauf nehmen wollen.

Bernd drehte sich um und eilte, so schnell es mit dem Kind auf dem Arm ging, zurück in Richtung seines Gartens. Die aufgehende Sonne beleuchtete ein Szenario, das Salvadore Dali nicht hätte besser auf die  Leinwand bringen können.

Der  Anblick, der sich Bernd auf dem Rückweg bot, war überwältigend. Fast über den gesamten Horizont erhob sich eine gigantische Blase aus einer silbern  schimmernden Substanz. So ähnlich hatte er sich immer eine Stadt auf dem  Mars vorgestellt. Inmitten einer lebensfeindlichen Umgebung schützte eine  überdimensionale Glocke die darin lebenden Menschen. Doch dies war nicht der Mars!

Lediglich in einem zirka 50 Meter durchmessenden Abschnitt, der  direkt vor seinem Haus lag, war diese glänzende Fläche verschwunden. Die Morgensonne schien in dieses Loch hinein und erhellte seinen Garten, der jetzt wie ein Fremdkörper in dieser Umgebung wirkte. Das Grün des Rasens und das Rot der Dachziegel waren die einzigen leuchtenden Farbkleckse in  dem Meer von silbernen Reflektionen.

»Hallo Schatz, was ist hier los?«, hörte er die Stimme seiner  Frau. Sie hatte sich ihren Morgenmantel übergeworfen und stand zusammen mit Kevin in der Terrassentür.

»Warte, wir sind gleich bei euch!«, antwortete Bernd schnell. Der  Anblick seiner Familie beschleunigte zusätzlich seinen Schritt. Seine Atemfrequenz erhöhte sich merklich. Er wollte nur möglichst schnell zurück in seine vertraute Umgebung. Diese surreale Metallwelt war ihm alles  andere als geheuer. Ein unbestimmbares Angstgefühl legte sich wie ein enges Stahlband um seinen Brustkorb und gab im das Gefühl, nicht mehr frei  Luft holen zu können.

Die  Kanten des silbernen Kuppellochs schimmerten wie flüssiges Quecksilber. Die Ränder waren nicht statisch, im Gegenteil. Entgegengesetzt zu den nach außen strebenden Wellen, wie sie ein Tropfen in einem ruhigen Gewässer verursachte, bildeten sich hier sanfte Wellenberge, die zu einem  imaginären Zentrum liefen. Und mit jeder Welle verkleinerte sich das Loch in dieser Kuppel.

Bernds Schritte beschleunigten sich abermals. Es könnte knapp  werden, kam es ihm in den Sinn.

»Papa! Nicht so fest!«, beschwerte sich seine Tochter, die jetzt durch den hastigen Lauf wild durchgeschüttelt wurde. Wie Wasser, das an einer Glasscheibe hinunterfloss, bildete sich Welle auf Welle, die den leeren Abschnitt füllte. Bernd fühlte, wie sein Herz gegen die Brust  hämmerte. Seine Hausschuhe rutschten auf dem glatten Metall und behinderten seinen Lauf.

Mit  fliegenden Fingern versuchte er seine Schlafanzughose festzuhalten, die immer mehr ins Rutschen kam. Das Loch im Schirm war vielleicht noch sechs  oder sieben Meter groß. Die unteren Ränder strebten bereits von links und  rechts aufeinander zu.

Falls es nicht anders ging, überlegte er mit einem großen Satz in  seinen Garten zu hechten. Acht lange Schritte noch! spornte er sich an.

Die  unteren Ränder vereinigten sich. Jetzt zog die Wand auch vom Boden hoch.  Der Ingenieur atmete aus. Noch zwei Schritte, dann würde er den  Hechtsprung riskieren.

Seine Beine blockierten. Ein schrilles Quieken drang an seine  Ohren. Bernd strauchelte. Getragen von seinem eigenen Schwung, stürzte er nach vorn. Terry winselte erbarmungswürdig. Er schien die gleiche Idee wie  sie Herrchen gehabt zu haben und wollte gerade zurück in den Garten springen. Leider geriet er dem Ingenieur dabei zwischen die Beine.

Noch im Fallen drehte sich Bernd auf den Rücken, um nicht auf  seine Tochter zu stürzen. Seine Arme gaben Anja frei, damit er sich mit den Händen abstützen konnte. Hart schlug sein Hinterkopf gegen die  seltsame gläserne Fläche. Das imaginäre Stahlband um seine Brust zog sich  zu einem schmerzenden Ring aus Angst zusammen. Direkt vor seinen Augen  kamen die Wellenberge zum Stehen, als sich der letzte Quadratmeter in der Öffnung schloss. Verdammt, wie kommen wir jetzt zurück, durchfuhr  es ihn. Eine Panikattacke ließ seinen Herzschlag stolpern. Der Weg zurück war verschwunden.

Terry kam wieder auf die Beine und sprang ihm auf die Brust. Als ob sich der Yorkshire entschuldigen wollte, leckte er mit seiner feuchten  Zunge über Bernds Gesicht. Neben ihm begann Anja zu plärren. Offensichtlich war sie mit der Art der Landung nicht  einverstanden.

Bernd wischte den Hund mit seiner rechten Hand von der Brust und richtete sich auf. Sein erstes Augenmerk galt seiner Tochter, doch die saß  nur bekümmert auf ihrem Po und verzog ihr Gesicht zu einem beleidigten Weinen. Dem Ingenieur war das in diesem Moment egal. So schnell er konnte,  kam er auf die Beine und tastete die eben entstandene Fläche ab. Das  Material war von dieser Seite aus halb transparent. Seine Frau und sein  Sohn standen direkt vor ihm, nur wenige Zentimeter entfernt. Doch ihre  Blicke gingen ins Leere. Sie konnten ihn nicht sehen. Der Ingenieur versuchte zu schlucken, aber sein Mund war vollkommen trocken.

In einem Anflug von Verzweiflung trommelte er mit seinen Fäusten gegen die  Wand. Trotzdem es schien kein Laut zu seinen Lieben vorzudringen. Der  Ingenieur sah, wie sich Kevin mit seiner Mutter unterhielt. Bernd wollte  rufen, doch seine Stimme versagte ihren Dienst. Seine Lippen kamen ihm auf  einmal fremd und taub vor. Tief in seinem Inneren wusste er, dass es  keinen Weg zurück in seine Welt gab.

Mit  einem Ruck wandte er sich von seiner Frau ab und lehnte sich mit dem  Rücken gegen die Wand. Sein Blick schweifte über die schier unendliche, gleichförmige Metallwelt.

 

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